Introvertierte Führungskräfte

Introvertierte Führungskräfte

Wege aus der Introversion - Coaching für Führungskräfte

Aufgeschlossenheit, Kontaktfreudigkeit und Entscheidungsfreudigkeit sind extravertierte Fähigkeiten, die oft mit einer erfolgreichen Führungskraft in Verbindung gebracht werden. Deshalb möchten introvertierte Führungskräfte oft mehr extravertierte Qualitäten erwerben.

In diesem Artikel lernen Sie die jeweiligen Stärken von Introversion und Extraversion kennen. Darüber hinaus lernen Sie unterschiedliche Arten von Introversion kennen und lernen wie diese mehr extravertierte Kompetenz aufbauen können.

Hintergrund: Introversion und Extraversion

Es ist nicht unbedingt wünschenswert, „einfach etwas extravertierter zu werden“, da sowohl Introversion als auch Extraversion ihre Stärken und Herausforderungen haben:

  • Introvertierte Personen zeichnen sich durch nach innen gerichtete Aufmerksamkeit aus. Sie verbringen eher Zeit damit, nachzudenken als zu handeln. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf die eigenen Gedanken und Gemütszustände und weniger auf das, was andere tun. Introvertierte interagieren mit ihrer eigenen inneren / imaginären Welt. Sie denken nach, bevor sie sprechen – und antizipieren innerlich Reaktionen und Gegenargumente.
  • Extravertierte Personen konzentrieren ihre Energie nach außen. Sie handeln und interagieren. Das Augenmerk liegt auf der Interaktion mit anderen Menschen und dem Handeln. Extravertierte sprechen und handeln und setzen sich dann mit der Reaktion anderer auseinander. Sie interagieren, um ihr Denken durch die Reaktionen und Argumente anderer voranzutreiben.

Introvertierte Menschen können in bestimmten Situationen davon profitieren, sich aufgeschlossener zu verhalten und nicht zu viel nachzudenken, während Extravertierte Vorteile in dem eher introvertierten Verhalten finden, zuerst zu denken und zu hastige Initiativen zu vermeiden. Situationsspezifisch können unterschiedliche Verhalten passender sein.

Führungsrollen erfordern oft mehr Flexibilität in beide Richtungen.

Introversion und Extraversion im Vergleich

Introversion

  • Aufmerksamkeit und Energie nach innen gerichtet
  • Neigen sie eher zu Beobachten, überlegter Reaktion und Nachdenken als zum schnellem Handeln
  • Werden häufig als still, zurückhaltend und ruhig beschrieben
  • Bevorzugen ruhige Umgebung
  • Stärkere Gehirnaktivitäten im Frontallappen und des vorderen Thalamus (relevant für Erinnerung, Problemlösung und Planung relevant – Fokus auf interne Informationen)

Mögliche Herausforderungen

  • Brauchen regelmäßig Zeit für sich (bzw. mit engen Freunden), um wieder Energie zu tanken
  • Bevorzugen wenige Kontakte / Freundschaften / Aktivitäten
  • Geringere Handlungsorientierung
  • Stärkere Impulskontrolle – weniger Spontanität

Extraversion

  • Aufmerksamkeit und Energie nach außen gerichtet
  • Neigen eher zu schnellem Reagieren und Handeln als zum Nachdenken
  • Werden häufig als kontaktfreudig, begeisterungsfähig, bestimmt, aktiv, beschrieben
  • Bevorzugen eine anregende Umgebung
  • Stärkere Gehirnaktivitäten im Temporallappen, hinteren Gyrus cinguli sowie im hinteren Thalamus (stärkere Inanspruchnahme durch sensorische Prozesse / mehr Fokus auf externe Informationen)

Mögliche Herausforderungen

  • Benötigen Anregung von außen und Zeit mit anderen Menschen, um Energie zu tanken
  • Mögen viele Kontakte und Abwechslung
  • Geringere Planungs- und Reflektionsorientierung
  • Geringere Impulskontrolle – mehr Spontanität

Introversion

Introversionstypen – Umgang mit Handlungs- und Sprechimpulsen

In Bezug auf Handlungsimpulse unterscheiden sich introvertierte Personen von extravertierten Personen durch ein geringeres Ausagieren bzw. Aussprechen von Handlungs- oder Sprachimpulsen. In Bezug auf Impulse gibt es zwei Formen der Introversion:

  • Typ A: Geringe Impulse
    Geringerer Ausprägung der Impulse insgesamt – Vielleicht kommt der Impulse auch langsam oder erst nach der eigentlichen Situation.
  • Typ B: Starke Impulskontrolle
    Ausgeprägte Impulsen kombiniert mit starker Kontrolle dieser Impulse – Die Person hat einen Impulse, aber agiert diesen nicht aus, weil es einen innerlichen Gegenimpuls gibt, z.B. in Form eines Gedankens („das sage ich lieber nicht“) oder des Zurückhaltens des Bewegungsimpulses.

Beide Typen zeichnen sich dadurch aus, dass sie weniger nach außen orientiert sind, aber aus unterschiedlichen Gründen.

Selbstwahrnehmung und Leidensdruck

Beide Introversionstypen leiden daran, dass sie nach der Situation damit unzufrieden sind, dass sie etwas nicht gesagt oder getan haben (oder dass sie generell zu wenig nachdrücklich auftreten oder zu wenig Raum nehmen). Es stellt sich dann als Frage, ob und in welcher Form die verpasste Handlung nachgeholt werden kann. Schwächere Impulse können dazu führen, dass weitere Gelegenheiten verpasst werden bzw. starke Impulskontrolle führt zu weiterem Zurückhalten.

Im Ergebnis nehmen Introvertierte sich als selbst als Menschen wahr, die zu viel über ihr Verhalten nachdenken und zu wenig (oder zu wenig nachdrücklich) handeln.

Besondere Fähigkeiten und Kompetenzen

Die besondere Kompetenz introvertierter Personen bestehen in ihrer Fähigkeit zur Selbstreflexion. Viel Nachdenken heißt, Szenarien durchspielen, Handlungsoptionen abwägen, Konsequenzen vorhersehen. Introvertierte sind sehr gut im Planen und Überlegen. Sie können blitzschnell Handlungsoptionen vorhersehen. Allerdings tendiert diese Szenarioanalyse dazu, Gründe für das Zurückhalten des Impulses, für weiteres Nichthandeln zu finden. Daher sind Introvertierte meist sehr gut darin, vorhandene Ideen weiterentwickeln und Optionen konkret vorzubereiten.

Für Introvertierte ist es wichtig, die Courage zu finden, die potentiell risikoreichere Handlungen auch durchzuführen. Hierbei kann Coaching gute Unterstützung leisten.

Chancen zur Verhaltensentwicklung für Introvertierte

Handlungskompetenz lässt sich durch Übung aufbauen. Daher lernen extravertierte Personen oft scheinbar schneller – denn sie nehmen jede Möglichkeit zur Übung (oft spontan) wahr. Introvertierte Personen trainieren hingegen eher ihre Planungs- und Antizipationskompetenz und lassen dem oft keine Handlung folgen.

Spezialisierte Trainings

Daher besteht der Weg zu mehr Extraversion in bewußtem Handeln und Übung. Dazu kann versucht werden, idealtypische Verhaltensweisen nachzubilden, und Trainings- und Übungsfelder zu finden. Dies können z.B. Führungstrainings oder – in Bezug auf öffentliche Auftritte – Rhetorik-Seminare und Toastmasters-Clubs sein.

What is your advice to people who are not very social / socially anxious?
„Get the Hell out there and practice!“

Jordan B. Peterson Professor Emeritus, University of Toronto

Die Situation als Übungsfeld

Etwas schwieriger ist es die vielen alltäglichen Situationen zu üben. Hier gibt es meist keine spezialisierten Trainingsmöglichkeiten. Ein Einzelcoaching ist möglich, jedoch fehlt dann an den realen Belastungsfaktoren solcher Situationen (Zeitdruck, überwiegend inhaltliche und weniger präsentationsorientierte Gesprächsführung).

Hierfür hat sich der folgende Ansatz bewährt. Die Situation selbst wird als tägliches Übungsfeld genommen. Die Kunst besteht darin, die vorhandenen realen Impulse und die damit verbundenen Emotionen, dazu zu nutzen, den eigenen Spielraum Schritt für Schritt zu erweitern.

Es ist meist nicht zu spät, dem ursprünglichen Impuls etwas verspätet Ausdruck zu verleihen. Zugleich gibt es oft gibt es auch bessere Handlungsoptionen, als den allerersten Impuls.

Analysieren – Handeln – Lernen: Ansätze zur Veränderung für Introvertierte

In bzw. nach alltäglichen Situationen gibt es mehrere konkrete Ansatzpunkte für Veränderung. Dabei werden die konkrete Impulse und damit verbunden Emotionen als Anlass für kleine Handlungsschritte genommen. Impulse und Emotionen können allein oder mit Hilfe eines Coaches exploriert werden.

Anschließend stellt sich der Klient / die Klientin couragiert der Situation und probiert neues Handeln in der Situation aus. Dabei agiert er mit dem Ziel und in die Richtung welche von den eigenen Impulsen vorgegeben wird.

Problemlage

In der Situation:
Impulse / Emotionen

  • Mangel an Impulsen: „Was könnte ich hier tun / beitragen?“
  • Zurückgehaltener Impuls:
    „Wie könnte ich das ins Leben bringen“
  • Impuls kommt zu spät (nach der Situation):
    „Wie kann ich die Handlung nachholen?“
  • Damit verbundene Emotionen
Step 1

Nach Situation:
Impulsanalyse

  • Was war mein erster Impuls?
  • Was war die Emotion?
  • Was möchte ich erreichen?
  • Was wären gute Möglichkeiten es zu tun? (Gibt es andere Möglichkeiten, das Ziel zu erreichen?)
  • Wann ist ein günstiger Moment? (Jetzt oder später?)
Step 2

Handeln

  • Dem Impuls sozial angemessen / zielgerecht Ausdruck verleihen
  • Oft gibt es bessere Möglichkeiten aktiv zu werden als den ersten Impuls auszudrücken: überlegt / diplomatisch / gut vorbereitet agieren
Step 3

Lernen

  • „Was kann ich beim nächsten Mal besser machen?“
  • „Wie hat es sich angefühlt zu handeln?“
  • „Könnte ich beim nächsten mal diese Handlung spontaner / zeitnäher durchführen?“

Impulsanalyse

  • Nichtvorhandener Impuls
    • Wenn die Person merkt, dass sie keinen Handlungsimpuls hat, kann sie sich selbst fragen:
      • „Gibt es etwas was ich tun / beitragen kann?“ – die Person setzt also selbst einen Reiz für zusätzliche Impulse.
      • „Was würde mich zur Handlung motivieren?“
      • „Was werde ich verpassen wenn ich nicht handle?“
  • In der Situation: Zurückgehaltener Impuls
    • Wenn die Person merkt, dass sie einen Impuls, etwas tun sagen / zu tun zurückhält, kann sie sich dies bewusst machen. Statt die Entscheidung nichts zu tun / zu sagen unbewusst / gewohnheitsmäßig zu treffen, kann sie dies zu einer bewussten Entscheidung machen.
    • Sequenz:
      • „Was ist mein erster Impuls?“
      • „Was möchte ich damit erreichen?“
      • „Was wäre eine gute Möglichkeit dies Ziel jetzt zu erreichen? (Gibt es andere Möglichkeiten, dies Ziel zu erreichen?)“
      • „Wann ist ein günstiger Moment? (Jetzt oder später?)“
  • Nach der Situation: Unzufriedenheit über nichtvorhandene / zurückgehaltenen Impulse
    • Oft wird die Person erst spät merken, dass es in einer Situation verpasst hat etwas zu tun oder zu sagen. Der Impuls kam, aber wurde unterdrückt. Bzw. der Impuls kam, aber er kam zu spät. Danach ärgert man über sich selbst bezüglich der ausgelassenen Gelegenheit.
    • Dies gibt zusätzliche Möglichkeiten für Planung / Vorbereitung eine Handlung nachzuholen oder eine andere Handlung mit dem selben Zweck durchzuführen.
    • Sequenz
      • „Was ist hätte ich gern gesagt oder getan?“
      • „Was möchte ich damit erreichen?“
      • „Was wäre eine gute Möglichkeit dies Ziel zu erreichen? (Gibt es andere Möglichkeiten, dies Ziel zu erreichen?)“
      • „Wann ist ein günstiger Moment? (Jetzt oder später?) „

Handeln und Lernen

Auf jeden Fall ist wichtig, ins Handeln zu kommen. Denn jedes kleine Interagieren mit der Umwelt, jedes ausgesprochene Wort, jede kleine Initiative erweitert den Handlungsspielraum. Und mit jeder Handlung gibt es Feedback – d.h. neue Informationen. Zur Analyse kann ich mich fragen: „Wie kann ich es beim nächsten Mal noch besser machen?“

Durch die Schleife: Impulsanalyse -> Handlung -> Lernen wird extravertierte Kompetenz auf drei Ebenen eingeübt:

  • Es wird konkrete emotionale und Impulskompetenz eingeübt.
  • Danach wird Handlungskompetenz eingeübt. Dazu zählen die Kompetenz Impulsen zu folgen, die konkrete Handlung durchzuführen
  • Schließlich wird das Erlebte in bewusst gemacht und daraus gelernt (Selbstreflektion)).

Im Ergebnis baut die Person schrittweise extravertierte Handlungskompetenz auf. Die Handlungen sind kleinschrittig und nahe an der bisherigen Handlungskompetenz. Dadurch wird die Auslösung von Angst minimiert. Gleichzeitig werden die introvertierten Kompetenzen der Planung und Reflexion genutzt. Durch die Handlung wird die Kompetenz im Körper verankert. Dies erlaubt stetige Fortschritte.